Interview
Leo Henrichs
Astrid Schroers: Herr Henrichs, Sie sind Familienvater von zwei Kindern im Alter von dreieinhalb und anderthalb Jahren: Das deckt sich genau mit der Altersgruppe, um die es in unserem Buch geht. Deshalb sind wir Ihnen äußerst dankbar, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen! In den letzten Jahren wurde immer wieder behauptet, dass Babys bereits im Mutterleib auf bestimmte Klänge reagieren und in der Lage sind, verschiedene Stimmen voneinander zu unterscheiden. Da Ihnen die frühe Heranführung von Kindern an die Musik ein besonderes Anliegen ist, interessiert uns, was Sie unter „früh“ verstehen? – Wann ist also dafür der „richtige“ Zeitpunkt?
Leo Henrichs: Musik sollte stets zum Leben eines Menschen dazugehören. Wenn Musik zu dem natürlichen Umfeld gehört, in dem ein Kind aufwächst, wird es automatisch auf sie reagieren und in sein Leben mit einbeziehen. Musik wird einen festen Stellenwert im Leben des Kindes erhalten und es bereichern.
Die Schwangerschaft ist für Eltern eine gute Gelegenheit darüber nachzudenken, was sie dem Kind von sich fürs Leben mitgeben möchten. Eltern können schon zu Beginn der Schwangerschaft damit anfangen, eine Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen, zu lernen mit ihm zu sprechen und zu singen. Je früher die Eltern lernen, sich verbal mit ihrem Kind auszutauschen – auch wenn dieses noch keine verbale Antwort von sich geben kann- desto inniger wird ihre Beziehung zeitlebens zu ihm sein, und desto besser verläuft die sprachliche Entwicklung des Kleinkindes. Auch, wenn die ganz Kleinen sich noch nicht äußern können und es manchmal danach aussieht, als hätten sie kein Interesse: Kleinkinder nehmen jede Information auf, die sie bekommen können. Ab einem bestimmten Alter beginnen Kleinkinder dann zu lautieren. Sie üben dann ihre Stimme, genau so, wie sie auch die Beweglichkeit ihrer Hände und Füße üben. Singen kann für das Kleinkind eine Brücke bilden auf dem Weg zu den ersten gesprochenen Worten. Es kann ihm dazu dienen, mit seinen Eltern zu kommunizieren, wenn mit der Zunge Worte noch nicht geformt werden können.
Singen im frühesten Kindesalter schult das Gehör. Wer früh damit beginnt, lernt, mit seinen Ohren die Stimmbänder souverän zu kontrollieren und seine Ohren und Stimme in vollem Umfang zu benutzen. Musik ist gesund, aber Musik machen ist gesünder. Musik macht glücklich.
Wie glauben Sie, kann man Kinder in diesem Alter am besten motivieren bzw. musikalisch ansprechen? Gibt es „die eine“ spezielle Methode oder handeln Sie eher spontan?
Man muss Kleinkinder nur selten zum Musikmachen motivieren. Kinder lieben Musik und beginnen sofort, im Takt zu wippen oder mitzusingen, wenn sie Musik hören. Es gilt eher, dieses natürliche Verhalten später zu erhalten und zu fördern. Machen Sie ihr Kind auf alltägliche Geräusche aufmerksam. Schlüsselbund, Krankenwagen, Flugzeug, Klingel, Vögel, Hund etc…. Produzieren sie mit ihrem Mund Geräusche. Wecken sie das Interesse des Kindes an Klang. Wenn in ihrem Haushalt ein Klavier steht, sichern sie die Tastaturabdeckung so ab, dass sie nicht zufallen kann. Lassen sie es offen stehen. Spielen sie auf dem Klavier. Das Ein-Finger-Suchsystem reicht aus. Erlauben sie ihrem Kind auf dem Klavier Töne zu drücken. Geben sie ihrem Kind eine Rassel, Trommel oder Mundharmonika zum Spielen. Singen sie. Erlernen sie selbst ein Instrument und üben täglich in Gegenwart des Kindes. Es gibt nicht die eine Methode, aber wenn Musik ganz selbstverständlich zum Alltag dazugehört, dann haben sie Erfolg.
Wir selbst konnten schon oft beobachten, dass Kinder, sobald Sie Musik hören, mitwippen, klatschen, tanzen, also den Drang verspüren, sich im Rhythmus zu bewegen. Ist also das Erfahren von Musik gerade im Kindesalter an das Element „Bewegung“ gekoppelt? Würden Sie die Bewegung in die musikalische Früherziehung gezielt mit einbauen?
Das Bewegungszentrum im Gehirn reagiert stark auf Musik. Kinder lieben Bewegungsspiele, denn sie haben einen ungeheuren Bewegungsdrang. Man kann zu Musik tanzen oder hüpfen und man kann mit den armen Bewegungen ausführen. Alles was den Bewegungsdrang der Kinder irgendwie konzeptionell in die Früherziehung mit einbezieht, wird erfolgreich sein.
Natürlich sind nicht alle Betreuungspersonen in der komfortablen Situation wie Sie. Nur wenige Tagesmütter haben eine fundierte musikalische Ausbildung, einige halten sich sogar für gänzlich unmusikalisch, geschweige denn, dass sie Noten lesen könnten… Können auch diese Personen positiven Einfluss auf die musikalische Entwicklung der ihnen anvertrauten Kinder nehmen, und wenn ja, wie?
Musik ist Bestandteil unserer Kultur. Sie ist Teil unserer kulturellen Identität. Man muss nicht Profimusiker sein, um mit Kindern Musik machen zu können. Noten und Theorie gehören nicht in den Kindergarten. Sie gehören erst später dazu, wenn Instrumentalunterricht besucht wird. Das hat aber Zeit.
Lassen sie ihrem Kind Zeit, ein normales Kind zu sein. Bringen sie den Kindern Musik als etwas ganz Natürliches nah. Ohne beiderseitigen Erwartungs- und Leistungsdruck. Singen Sie mit ihrem Kind. Egal, wie schlimm sie am Anfang eventuell noch krächzen müssen. Gewöhnen sie sich an ihre eigene Stimme. Trauen sie sich zu für ihr Baby zu singen! Sie müssen keine Angst davor haben, Fehler zu machen. Sie werden musikalischer sein, als Sie es von sich selbst erwarten. Sie sind einfach nur ungeübt. Üben sie zunächst für sich allein zuhause etwas zu singen. Mit kräftiger Stimme und ohne Angst. Nach einigen Malen, werden sie bemerken, wie leicht es Ihnen dann fallen wird, zu singen. Oder lernen sie Gitarre. Mit wenigen Griffen, kann man schon die gängigsten Lieder spielen.
Würden Sie auch schon Instrumente einsetzen? Welche eignen sich nach Ihren Erfahrungen überhaupt dazu?
Stimme, mit dem Fuß stampfen, Mundharmonika, Trommel, Orff-Instrumentarium
Es soll ja durchaus auch Musiker geben, die intuitiv, nach Gehör arbeiten…. Plädieren Sie trotzdem und unbedingt für das Erlernen von Noten und würden Sie auch schon den Allerkleinsten theoretische Grundlagen vermitteln wollen?
Man sollte Musiktheorie erst dann lernen, wenn die Kenntnis über diese, tatsächlich weiteren Nutzen erbringt. Ohne instrumentalen Bezug ist Musiktheorie wertlos. Kleinkindern kann man so den Spaß an der Musik vollständig verleiden. Nochmals: Niemand muss Musiker sein, um mit seinen Kindern Lieder anzustimmen. Jeder kann das! Den schwersten „Fehler“, den man begehen kann, ist, keine Musik mit den eigenen Kindern zu machen.
Abwechslung oder Wiederholung? Womit erreicht man die Kinder eher?
Wiederholung ist ein Muss. Kinder lieben die Wiederholung auch dann noch, wenn es uns schon längst aus den Ohren rauskommt. Hin und wieder dann etwas neues dazu. Wiederholung ist das A&O.
Zurück zur „Kreativitätsförderung“: Inwiefern kann Musik die kindliche Kreativität fördern?
Musik regt unser Gehirn an. Sie stimuliert die Bildung von Nervenschaltungen in vielen Hirnregionen. Musik motiviert, entspannt und macht glücklich. Sie lässt uns in Tagträumen versinken oder reißt uns vom Stuhl. Wenn man sich wohlfühlt und beschwingt ist, kann man auf kreative Ideen kommen. Kinder sind in der Regel im Spiel immer kreativ. Erst später geht im Schulalltag viel von unserer ursprünglichen Kreativität verloren. Erkennen und fördern sie die Veranlagungen ihrer Kinder. Ermutigen sie ihr Kind durch Lob und Anerkennung. Gehen sie selbst auf Entdeckungsreise und suchen sie in sich nach Fähigkeiten, die sie haben. Spielen sie mit Bauklötzen, Knete und malen sie.